Die Analyse dieses Phänomens beginnen wir mit einer Gegenüberstellung von sinnvoll versus sinnlos zu sinnvoll versus unsinnig bzw. widersinnig. [Diese Darstellung weicht etwas von der Heideggers ab, der hereinbrechende und zerstörende Naturereignisse als widersinnig darstellt (siehe S. 152).]
Ein sinnvoller Satz: "Die Äpfel werden im Herbst reif."
Ein unsinniger Satz: "Die werden reif im Äpfel Herbst."
Ein widersinniger Satz: "Die Äpfel essen Birnen."
Ein sinnloser Satz: "????" - Ob ein Satz sinnlos ist, kann nur der jeweilige einzelne Mensch feststellen, der ihn in Bezug zu seinem eigenen Leben stellt.
Alles Seiende von nichtdaseinsmäßiger Seinsart ist von vornherein an sich unsinnig (ihm haftet an sich kein Sinn an; es ist wesenhaft an sich bar jeden Sinns). Denn "Sinn 'hat' nur das Dasein, sofern die Erschlossenheit des In-der-Welt-seins durch das in ihr entdeckbare Seiende "erfüllbar" ist. Nur Dasein kann daher sinnvoll oder sinnlos sein." (S. 151) Sinn bezieht sich immer auf mein Leben - nur ich selbst kann beurteilen, ob etwas für mich sinnvoll oder sinnlos ist. Etwas, das für mich Sinn hat, steht immer in irgendeinem Zusammenhang mit meinem Leben.
Wann empfinden Sie eine Handlung, die Sie setzen, als sinnvoll? Doch wohl, wenn die Handlung etwas bewirkt, das in der Folge in irgendeiner Weise auf Sie zurückwirkt und dabei mit Ihrem Lebenskonzept in Einklang steht.
Wann ist das, was Sie sagen, sinnlos (Achtung: sinnlos und nicht unsinnig!)? Wenn es keinen Effekt hat; wenn es nichts bewirkt; wenn ein Prozess, den Sie in Gang bringen wollen, nicht in Gang kommt. ("Es ist doch sinnlos, dass ich dir sage, du sollst das tun. Du tust es ohnehin nicht!")
Angenommen, Sie hätten eine Erythrophobie (Angst zu Erröten). Sie wollen diese unangenehme Körperreaktion loswerden, um in gesellschaftlichen Situationen gelassen mit anderen Menschen kommunizieren zu können. Aber ein Therapeut gibt Ihnen den Rat, dass Sie in Ihnen peinlichen Situationen das Erröten Ihres Gesichtes bewusst herbeiführen sollen. Welchen Sinn soll es haben, statt unwillkürlich nunmehr gar willkürlich "rot zu werden"? Trotzdem versuchen Sie, den Rat zu befolgen und bewusst "rot zu werden". Aber plötzlich müssen Sie über Ihre eigene Angst lachen und irgendwie ist es Ihnen ab jetzt gleichgültig, ob Sie erröten oder nicht. Sie erröten weiterhin in gewissen Situationen, aber Sie fühlen sich ab nun nicht mehr peinlich berührt, sondern bleiben gelassen. Also war die Anweisung doch sinnvoll, denn Ihre Reaktion auf diese Anweisung ist so, dass ein Prozess in Gang kommt, der in Ihr Konzept ("in Gesellschaft gelassen kommunizieren zu können") passt.
Dass eine Handlung Sinn macht, hängt nicht davon ab, ob sie ihren unmittelbaren Zweck erreicht, sondern ob ihre Auswirkungen in mein Konzept passen.
Um die Sinnhaftigkeit eines Ereignisses oder einer Handlung zu erfassen, ist es nicht notwendig, dass ich das Ereignis oder die Handlung verstehe, vielmehr ist es erforderlich, dass ich seine/ihre Auswirkungen verstehe. ("Ich verstehe zwar nicht, wie das zustande gekommen ist, aber ich sehe, dass es einen ausgesprochen positiven Effekt auf ihn hat, und das freut mich sehr!")
So können wir sagen: Sinn ist das Woraufhin, das Ziel oder der Zweck des Entwurfs, aus dem heraus etwas verständlich wird.
Eine unsinnige Handlung ist eine Handlung, die aus Teilhandlungen besteht, welche keinen logischen Zusammenhang erkennen lassen. Beispiel für "Etwas Unsinniges tun": "Einen roten Luftballon salzen, pfeffern und dann im Backrohr garen."
Sinn und Prozess (Teilprozess - Gesamtprozess): Um etwas als sinnvoll zu bezeichnen, muss es aus mehreren Teilschritten bestehen, die nacheinander ablaufen und ein erkennbares Ziel haben. Es muss ein sich durchziehender roter Faden erkennbar sein; es muss in irgendeiner Weise ein Konzept dahinter stehen. Die Teilschritte sind wiederum Teil eines größeren Konzeptes, eines Entwurfs mit einem Woraufhin, also einem Ziel oder Zweck.
Sinnvoll sind nur Prozesse. Etwas "bloß Seiendes" hat an sich noch keinen Sinn. Einem "Seienden" kann nur deshalb Sinn zugeschrieben werden, weil es dieses nur gibt, indem es in einem Prozess ("Sein") eingebunden ist.
Beispiele:
Hat der Zaun einen Sinn? Ja, denn er hält die Wildtiere vom Garten ab. Genau genommen hat nicht das "Seiende" - der Zaun - einen Sinn, sondern der Prozess, in dem er eingebunden ist - sein Dastehen mit der Folge des Abhaltens der Wildtiere.
Hat der rote Punkt dort aus dem abstrakten Gemälde dieses Künstlers einen Sinn? Ja, denn seine Lage in der Mitte des Bildes bewirkt einen starken Kontrast zum blauen Strich in der linken unteren Ecke.
Hatte der Krieg in diesem Land Sinn? Ja, denn dadurch wurde ein Regimewechsel bewirkt und dies ermöglichte längerfristig den Aufbau demokratischer Strukturen.
Hatte der Krieg in diesem Land einen Sinn? Nein, zwar wurde dadurch ein Regimewechsel bewirkt, aber das längerfristige Ziel, nämlich der Aufbau demokratischer Strukturen wurde nicht erreicht. Im Gegenteil, das neue Regime ist genauso undemokratisch, brutal und korrupt wie das alte.
Wir können nun den Zusammenhang zwischen Sinn und Prozessen folgendermaßen herausstellen: Sinnvoll kann nur ein Prozess sein. Dieser muss etwas bewirken. Ein Prozess hat einen Zweck und ein Ziel. Der Zweck liegt definitionsgemäß außerhalb des Prozesses, das Ziel am Endpunkt des Prozesses. Der Prozess muss einen nachfolgenden Prozess beeinflussen (in Gang bringen, beschleunigen, verlangsamen, verändern etc.) Der Prozess muss Glied einer Kette von miteinander zusammenhängenden Prozessen sein. Diese miteinander zusammenhängenden Prozesse bilden einen Gesamtprozess. Der Gesamtprozess hat einen Zweck, der außerhalb und ein Ziel, das am Endpunkt des Gesamtprozesses liegt. Zweck und Ziel eines Teilprozesses sind nicht Zweck und Ziel des Gesamtprozesses.
Einen Prozess verstehen und auslegen kann nur ein daseinsmäßiges Seiendes (z.B. der Mensch).
Ein nichtdaseinsmäßiges Seiendes (z.B. ein Fahrrad) kann einen Prozess nicht verstehen und auslegen.
Nur ein daseinsmäßiges Seiendes (z.B. der Mensch) kann einen Prozess in Teilschritte unterteilen (gliedern). Jede Zerlegung (Gliederung) eines Gesamtprozesses in Teilschritte ist künstlich. Jede Zerlegung des Gesamtablaufs der Welt ist ebenso künstlich. Der menschliche Verstand ist so konfiguriert, dass er in seiner Vorstellung ständig einen Gesamtprozess in Teilprozesse zergliedert (artikuliert). Dies ist schon dadurch gegeben, da er, solange er lebt, den Prozess der Welt in seiner Gesamtheit nicht erkennen kann.
Um den Gesamtprozess in Teilschritte zu gliedern, muss der Mensch aus dem Prozess austreten. Er kann dann den Prozess dissoziiert betrachten und die von ihm künstlich gegliederten und "vor sich ausgelegten" Teilschritte benennen. Diese Teilschritte erhalten von ihm Namen (Etikette), die Nominalisierungen sind. Vorteil von Nominalisierungen ist, dass sie als abgegrenzte Einheiten klassifizierbar, gut im Gedächtnis speicherbar, miteinander auf verschiedene Weise kombinierbar und gut mit anderen Menschen kommunizierbar sind. So können andere Menschen Prozesse kennen lernen, ohne selbst in diese Prozesse involviert (gewesen zu) sein.
Der Mensch macht ständig Entwürfe von (Gesamt)prozessen mit einem Endzweck und einem Endziel.
Ein (Teil)prozess wird vom betreffenden Menschen als sinnvoll erlebt:
1. Wenn der übergeordnete Gesamtprozess mit dem entsprechenden Entwurf des betreffenden Menschen übereinstimmt.
2. Wenn der Zweck und das Ziel des Gesamtprozesses vom betreffenden Menschen positiv bewertet werden.
3. Wenn er Teilprozess des Gesamtprozesses ist und dabei in erkennbarer (und dadurch benennbarer) Weise das Erreichen des Endzieles fördert.
Kurz: Ein bestimmter einzelner (Teil)prozess aus einer Kette von (Teil)prozessen, die zusammen einen Gesamtprozess bilden, ist dann sinnvoll, wenn er dem Zweck des Gesamtprozesses dient. Der Zweck des Gesamtprozesses verleiht den einzelnen Teilprozessen Sinn.
Wenn Sie diesen meinen Text mit dem Heideggers vergleichen, so werden Sie sehen, dass Übereinstimmung besteht: "Wenn innerweltliches Seiendes mit dem Sein des Daseins entdeckt, das heißt zu Verständnis gekommen ist, sagen wir, es hat Sinn. Verstanden aber ist, streng genommen, nicht der Sinn, sondern das Seiende, bzw. das Sein. Was im verstehenden Erschließen artikulierbar ist, nennen wir Sinn. Der Begriff des Sinnes umfasst das formale Gerüst dessen, was notwendig zu dem gehört, was verstehende Auslegung artikuliert. Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird. Sofern Verstehen und Auslegung die existenziale Verfassung des Seins das Da ausmachen, muss Sinn als das formal-existenziale Gerüst der dem Verstehen zugehörigen Erschlossenheit begriffen werden." (S. 151) Sinn hat eine Entität nur dann, wenn sie von mir verstanden worden ist; verstanden ist dabei deren Sein, d.h. der Prozess, in den sie involviert ist. Und jetzt kommt der entscheidende Satz: Was wir im verstehenden Zugang zu ihm in Abschnitte gliedern können, nennen wir Sinn. Anders ausgedrückt, wenn wir einen Gesamtprozess in Teilprozesse gliedern und auseinanderlegen können, empfinden wir den Gesamtprozess für sinnvoll. Ein jeweiliger Entwurf wird von uns im Prozess der Auslegung mittels Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff auf sein Woraufhin (Ziel und Zweck) strukturiert. Aus seinem Woraufhin, d.h. seinem Ziel und Zweck, wird etwas als etwas verständlich und als sinnvoll erlebt.
Im nächsten Paragraphen, der sich mit der Aussage beschäftigt, weist Heidegger an zwei Stellen noch einmal darauf hin, dass der Sinn mit der Sichtbarmachung des Gegliederten = Artikulierten (auf der Ebene der Auslegung) bzw. Gliederbaren = Artikulierbaren (auf der dem Auslegen zugrunde liegenden Ebene des Verstehens) zu tun hat: "Das in der Auslegung Gegliederte als solches und im Verstehen überhaupt als Gliederbares Vorgezeichnete ist der Sinn." (S. 153) und: "Den Begriff des Sinnes restringieren wir nicht zuvor auf die Bedeutung von "Urteilsgehalt", sondern verstehen ihn als das existenziale Phänomen, darin das formale Gerüst des im Verstehens Erschließbaren und in der Auslegung Artikulierbaren überhaupt sichtbar wird." (S. 156)