Sein und Zeit

Sein und Seiendes

Um Martin Heideggers Hauptwerk „Sein und Zeit“ zu verstehen, ist es unabdingbar, von Beginn an ein explizites Verständnis der beiden Begriffe „das Seiende“ und „das Sein (des Seienden)“ zu haben. Vereinfacht kann man sagen: Heidegger unterscheidet in „Sein und Zeit“ 2 Ebenen: die Ebene des „Seienden“ und darüber waltend die Ebene des Seins. Unter dem Begriff „das Seiende“ fallen alle Sachen [und Wesen], d. h. alles, was mit einem Hauptwort (Substantiv, Nomen) benannt wird. Der Begriff „das Sein“ beinhaltet jegliches Geschehen (die Gesamtheit aller Prozesse = Vorgänge = Abläufe) in seiner mit- und untereinander vernetzten Fülle, d. h. all dessen, was mit Zeitwörtern (Prozesswörtern) benannt wird.

Seiendes ist z.B. der ›Stein‹, der ›Kern‹, die ›Schale‹, die ›Erde‹, der ›Himmel‹, das ›Wasser‹‹, das ›Feuer‹, die ›Luft‹, das ›Buch‹, die ›Maschine‹, der ›Hammer‹, die ›Nadel‹, die ›Blume‹, der ›Baum, das ›Tier, der ›Mensch‹. Seiendes ist auch das ›Atom‹, das ›Molekül‹, der ›Kreis‹, das ›Dreieck‹, der ›Zwischenraum‹, der ›Abgrund‹, der ›Steilhang‹, die ›Ebene‹, die ›Gegend‹, die ›Landschaft‹, der ›Bezirk‹, das ›Land‹, der ›Staat‹. Seiendes ist auch der ›König‹, die ›Prinzessin‹, die ›Hexe‹, der ›Kranke‹, der ›Wahnsinnige‹, der ›Flugsaurier‹, das ›Mammut‹, der ›Teufel‹, der ›Engel‹, ›Gott‹ - obwohl Mammut und Flugsaurier ausgestorben sind und es zweifelhaft ist, ob es Gott, Engel und Teufel in Wirklichkeit gibt.
Seiendes ist als Sache oder Wesen in gewisser Weise zeitlos, besser ausgedrückt: wird von uns als außerhalb der Zeit im Raum stehend wahrgenommen (dann nämlich, wenn wir es als Subjekt oder als Objekt ansehen).
Sein ist z.B. ›aufgehen‹, ›entstehen‹, ›werden‹, ›verbinden‹, ›dazwischenliegen‹, ›beinhalten‹, ›einnehmen‹, ›wirken‹, ›fallen‹, ›ruhen‹, ›liegen‹, ›stehen‹, ›brennen‹, ›auflösen‹, ›zerbrechen‹, ›eingehen‹ - diese Seinsweisen werden üblicherweise sowohl den Dingen als auch den Lebewesen einschließlich uns Menschen zugeordnet. - Weitere Seinsweisen werden in erster Linie den Lebewesen zugeordnet, obwohl sie auch auf Unbelebtes zutreffen: ›blühen‹, ›fressen‹, ›saufen‹, ›säugen‹, ›grasen‹, ›verenden‹, ›sterben‹, ›leben‹. Andere Seinsweisen werden besonders uns Menschen zugeeignet: ›träumen‹, ›glauben‹, ›antworten‹, ›überlegen‹, ›unterstellen‹, ›danken‹, ›sprechen‹, ›fühlen‹, ›verstehen‹.
Das Sein hat als Geschehen (Prozess, Vorgang, Ablauf) eine zeitliche Komponente. Jedes Geschehen hat einen zeitlichen Ablauf. Es ereignet sich im Fluss der Zeit. Auch bei Prozessen wie ›stillstehen‹ fehlt diese zeitliche Komponente nicht, denn stillstehen kann ich nur in einer bestimmten Zeit. So ist auch der Prozess des Stillstehens eine bestimmte Weise des im-Fluss-Seins.

Nominalisierungen:
Oben wurde behauptet, dass unter dem Begriff „das Seiende“ alles, was mit einem Hauptwort (Substantiv, Nomen) benannt wird, fallen würde. Es gibt jedoch eine Unzahl von Hauptwörtern, den sogenannten Nominalisierungen, bei denen der Sachverhalt, ob die von ihnen bezeichneten Phänomene zum Seienden gerechnet werden sollten oder ob sie dem Sein zugehören, nicht so klar ist. Heideggers Kritik an der Metaphysik, d.h. der abendländischen Philosophie von Platon bis Hegel und Nietzsche, dass diese zwar vom Sein spräche, aber das Sein immer als etwas Seiendes auffasse, lässt sich an diesen Phänomenen zeigen. Sie nehmen, oberflächlich betrachtet, eine Zwitterstellung ein, sie stammen zwar unmittelbar aus dem Sein, lassen sich aber wie anderes Seiendes behandeln. Nominalisierungen sind Hauptwörter, die direkt aus einem Zeitwort abgeleitet sind. (Anmerkung: Wir vernachlässigen hier der Einfachheit halber Nominalisierungen, die von Adjektiva abgeleitet sind.) Einige Beispiele: ›träumen‹ im Sinne von ich träume, du träumst, er, sie, es träumt etc. wird zu ›das Träumen‹ und ›der Traum‹; ›glauben‹ im Sinne von ich glaube etc. wird zu ›das Glauben‹ und ›der Glaube‹; ›antworten‹ im Sinne von ich antworte etc. wird zu ›das Antworten‹ und ›die Antwort‹; ›überlegen‹ im Sinne von ich überlege etc. wird zu ›das Überlegen‹ und ›die Überlegung‹; ›unterstellen‹ im Sinne von ich unterstelle etc. wird zu ›das Unterstellen‹ und ›die Unterstellung‹; ›danken‹ im Sinne von ich danke etc. wird zu ›das Danken‹ und ›der Dank‹; ›sprechen‹ im Sinne von ich spreche etc. wird zu ›das Sprechen‹ und ›die Sprache‹; ›fühlen‹ im Sinne von ich fühle etc. wird zu ›das Fühlen‹ und ›das Gefühl‹; ›verstehen‹ im Sinne von ich verstehe etc. wird zu ›das Verstehen‹ und ›der Verstand‹. Wir können die Prozesswörter ›ich träume‹ (›träumen‹), ›ich glaube‹ (›glauben‹), ›ich antworte‹ (›antworten‹), ›ich überlege‹ (›überlegen‹), ›ich unterstelle‹ (›unterstellen‹), ›ich danke‹ (›danken‹), ›ich spreche‹ (›sprechen‹), ›ich fühle‹ (›fühlen‹), ›ich verstehe‹ (›verstehen‹) auch so ausdrücken: ›ich bin im Träumen‹, ›ich bin im Glauben‹, ›ich bin im Antworten‹, ›ich bin im Überlegen‹, ›ich bin im Unterstellen‹, ›ich bin im Danken‹, ›ich bin im Sprechen‹, ›ich bin im Fühlen‹, ›ich bin im Verstehen‹. Beide Weisen der Formulierung (›träumen‹ und ›im Träumen sein‹ etc.) beschreiben einen Prozess (ein Geschehen). Sie beschreiben 'etwas', das vor sich geht, 'etwas', das einen Ablauf aufweist, 'etwas', das im Fluss ist, 'etwas', das im Fließen ist, 'etwas', das fließt. Der letzte Satz birgt durch das Wörtchen 'etwas' schon eine Inkorrektheit in sich. Genauer ausgedrückt heißt es: sie beschreiben ein Vorgehen, ein Ablaufen, ein Fließen, ein im Fluss Sein, ein im-Fließen-Sein.
Prozesse haben aufs Innigste mit Zeit zu tun. Dies besagt schon das Wort Prozess: Verlauf, Vorgang. Einem Prozess ist Zeit inhärent, Prozesse haben eine Dauer. Ein Prozesswort bezeichnet 'etwas', das eine Dauer hat.
Unsere Sprache hat die Neigung das Sein zu etwas Seiendem zu verwandeln; mit anderen Worten: Abläufe mutieren durch den Prozess der Nominalisierung zu Gegenständen, die dann als Subjekte und Objekte Verwendung finden. Die Nominalisierungen: ›das Träumen‹, ›das Glauben‹, ›das Antworten‹, ›das Überlegen‹, ›das Unterstellen‹, ›das Danken‹, ›das Sprechen‹, ›das Fühlen‹, ›das Verstehen‹ bringen das ursprüngliche Fließen zum Stehen, sie frieren das jeweilige Geschehen ein. Die abgeleiteten Ausdrücke ›Traum‹, ›Glaube‹, ›Antwort‹, ›Überlegung‹, ›Unterstellung‹, ›Dank‹, ›Sprache‹, ›Gefühl‹, ›Verstand‹ sind Abstrahierungen vom jeweiligen Geschehen (Prozess), d.h. sie sind von ihm de facto losgelöst. Sie sind aus der Sphäre des Seins in die Sphäre des Seienden gerutscht. Wir behandeln die mit Nominalisierungen und insbesondere mit den abgeleiteten Ausdrücken bezeichneten Phänomene als etwas Seiendes, obwohl sie in Wahrheit doch weiterhin der Sphäre des Seins angehören. Seiendes an sich kann ich anschauen und angreifen (z.B. einen Tisch, einen Hund, einen Menschen). Das Sein (träumen, glauben, antworten etc.) kann ich nicht anschauen und angreifen. Wenn ich in das jeweilige Geschehen involviert bin, assoziiert im Prozess mich befinde, d.h. mich im jeweiligen Geschehen befinde, im jeweiligen Geschehen bin, kann ich dieses nicht zugleich anschauen bzw. an-greifen, aber ich kann das im-Geschehen-Sein spüren, es auf diese Weise verstehen und be-greifen. Wenn ich aus dem Geschehen (Prozess) heraustrete, vom Geschehen (Prozess) dissoziiere, mich von ihm distanzierte, Abstand von ihm gewinne, kann ich es von Außen betrachten, aber ich befinde mich nicht mehr im Geschehen und spüre das Sein-im-Geschehen nicht mehr. Das Geschehen wird durch dieses Dissoziieren von ihm aus seinem zeitlichen Ablauf herausgenommen und in einen „imaginären Raum“ (gedachten, vorgestellten Raum) gestellt. - Ich stelle es vor mich hin, ich stelle es mir vor. Das nun vor-gestellte Geschehen wird als Vorstellung sichtbar, ich kann es nun betrachten, so wird es begreifbarer, handhabbarer. Ein ursprüngliches Geschehen (Sein) wird durch den Prozess des Nominalisierens zu etwas Seiendem umgewandelt. Aber wir vergessen dabei, dass diese Umwandlung bloß in unserem Denken geschieht, wir vergessen auf das, was eigentlich ist, wir vergessen auf das Sein (Seinsvergessenheit). Mit Nominalisierungen kann ich sehr schnell arbeiten, sie sind sozusagen „Pakete mit einem Namensschild drauf, in diesen Paketen befinden sich abgepackte Prozesse“. Die Prozesse sind, wenn eine Nominalisierung stattgefunden hat, nur von außen (dissoziiert) wahrzunehmen, sie sind dabei zu Gegenständen geworden, die ich in meiner Vorstellung betrachten kann. Wenn ich eine Denominalisierung durchführe, d.h. „hineingehe und assoziiere“, wird der Gegenstand wieder zum Prozess; d.h. die Zeit kehrt wieder ein.
Nominalisierungen sind in einer weiteren Hinsicht bedeutsam. Mit vielen Nominalisierungen kann beides zur Darstellung gebracht werden: eine Abstraktion (Seiendes) und ein Geschehen selbst: z.B. ›das Wesen‹ als etwas Seiendes wie z.B. ein Lebewesen und ›das Wesen‹ als ein Geschehen wie in ›anwesen‹, ›abwesen‹, ›verwesen‹, wesen‹.

Seiendes im Sinne von sinnlich, anschaulich Gegebenem:
Derselbe Denkprozess, der als nichtsinnliche Nominalisierung ein Geschehen (Sein) in eine Sache (Seiendes) verwandelt, ist auch im Verstehen und Begreifen von konkreten Sachen, die als etwas sinnlich, anschaulich Gegebenes erfahrbar sind, wirksam.
Folgende Beispiele sollen dies verdeutlichen:
Ein Ding, welches ich als Hammer erkenne, wird dadurch zum Hammer, weil ich zuvor schon weiß, was Hämmern bedeutet. Mit anderen Worten: Wenn ich ein bestimmtes Ding (Seiendes) betrachte und es als Hammer erkenne bzw. es als Hammer verwende, kann ich dies nur, wenn ich zuvor verstanden habe, was hämmern (Sein) bedeutet, unabhängig vom Aussehen des jeweiligen Dinges mit dem ich hämmere. Ich kann mit dem Hammer (Seiendes) auch trommeln (Sein), aber dadurch verwandelt er sich zu einem Trommelschlegel (Seiendes). Wenn ich den Hammer (Seiendes) als Kunstobjekt in ein Museum stelle, verliert er sein Hammer-Sein und wird zu einem Kunstwerk. Wenn ich einen Amboss (Seiendes) nehme, und mit ihm einen Nagel einschlage, ihn also als Hammer, d. h. zum Hämmern (Sein) verwende, ist er kein Amboss mehr, sondern zu einem Hammer geworden. Ein Buch wird dadurch zum Buch, weil ich weiß, dass man eines schreiben kann bzw. dass man darin lesen kann. Wenn jemand ein offenes Buch für mich ist, ist er es dadurch, dass er sich mir öffnet und ich die Möglichkeit habe in ihm zu lesen. Er ist genauso ein offenes Buch, wie z.B. das aufgeblätterte Anatomielehrbuch auf meinem Schreibtisch und die aufgeschlagene Bibel auf dem Altar in der Kirche. Eine Tür befindet sich üblicherweise in der Wand zwischen 2 geschlossenen Räumen. Als Tor wird eine größere Öffnung in einer Mauer, einem Zaun oder einem Gebäude bezeichnet. Die konkrete Schlafzimmertüre in meinem Haus wird nicht dadurch zur Türe, dass sie aus Holz ist und eine Türschnalle hat. Genausowenig wird das Gartentor zum Tor, weil es aus Eisen gefertigt ist. Tür und Tor sind deshalb Tür und Tor, weil sie 2 Räume bzw. 2 Bereiche, die voneinander getrennt sind, sowohl voneinander verschließen als auch zueinander öffnen können. Ich kann das Tor verschließen, sodass man nicht mehr von dem einen in den anderen Bereich gelangen kann. Ich kann die Türe öffnen, um von einem Raum in einen anderen zu gehen. Im Lied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit; Es kommt der Herr der Herrlichkeit“ sind Tür und Tor keine Metaphern sondern genauso Tür und Tor wie die hölzerne Tür zwischen meinem Wohn- und Schlafzimmer und das metallene Tor zu meinem Garten.
Sachen (Seiendes) sind begrenzt, d.h. man nimmt ein Seiendes in seiner Abgegrenztheit von anderem Seienden wahr. Einen Vogel, der auf einem Baum brütet, nehme ich als abgegrenzt vom Baum wahr. Sogar einen Baum in einer Landschaft nehme ich als abgegrenzt von dieser wahr. Wenn ich beobachte, wie zwei Dinge miteinander verschmelzen, nehme ich wahr, wie ihre Grenzen sich auflösen und sie dadurch eins werden. Auch bin ich als derjenige, der sie betrachtet oder verwendet, von ihnen abgegrenzt. Ich bin von ihnen dissoziiert. Prozesse sind in einem Gesamtgeschehen als Teilprozesse desselben miteinander verflochten und gehen ineinander über. (Anmerkung: Das Gesamtgeschehen setzt sich nicht aus Teilprozessen zusammen, vielmehr kann es in Teilprozesse gegliedert werden.) Um einen Prozess zu verstehen, muss ich in ihn eintauchen, muss ich mich mit ihm assoziieren - allerdings genügt es in den allermeisten Fällen, dieses Eintauchen in den Prozess bloß in Gedanken zu vollziehen. Dies braucht Zeit. Wenn ich z.B. Hämmern verstehen will, muss ich zumindest in Gedanken in den Prozess des Hämmerns eintreten. Wenn ich nun den Prozess Hämmern mit einem Ding, das ich zum Hämmern benutze, verbinde, wird dieses Ding zum Hammer. Das zeitliche (prozesshafte) Hämmern ist nun mit dem zeitlosen (außerhalb des Zeitlaufs stehenden) Gegenstand Hammer verknüpft. Später kann ich den Hammer betrachten und weiß, dass er zum Hämmern ist, auch wenn ich nun nicht mehr in den Prozess des Hämmerns eintrete.

Unterschied zwischen Mensch und Tier:
Der Mensch hat einen einzigartigen Bezug zum Sein. Sein in seiner Fülle ist nur uns Menschen zugänglich. Tiere sind zwar wie alles Seiende auch im Sein verwurzelt, aber sie selber haben von sich aus trotz dieser naturgegebenen Verwurzelung keinen bewussten Zugang zum ihm. Seiendes hingegen nehmen - wie wir Menschen - auch Tiere wahr. Sie gehen mit Seiendem um, allerdings in ihrer jeweiligen artspezifisch beschränkten Art und Weise. Tiere sind im Gegensatz zu uns Menschen kaum kreativ. Kreativität hängt nämlich mit der Fähigkeit, etwas Seiendes in unterschiedlichen Seinsweisen begreifen und verwenden zu können zusammen. Und dazu ist Sprache erforderlich. Mit Sprache ist nicht die Fähigkeit, sich mitteilen zu können, gemeint, sondern das Vermögen, einer Sache oder einem Geschehen einen Namen zu geben. Nur mittels Sprache lassen sich aus den miteinander verflochtenen, ineinander übergehenden Geschehnissen Teilprozesse herausdröseln, voneinander abgrenzen, herausstellen und schließlich benennen (etwas zur Sprache bringen). Nachdem sie mit einem Namen versehen worden sind, können sie nun mit unterschiedlichen Dingen auf vielfältige Art und Weise in Verbindung gebracht werden. Und vice versa: Nur mittels Sprache lassen sich verschiedenartige Dinge mit unterschiedlichen Prozessen auf vielfältige Art und Weise verknüpfen. Nur ein Wesen, das Sprache im oben genannten Sinne hat, kann das Sein in seiner Fülle verstehen. Kein Tier versteht Prozesse wie ›nachdenken‹, ›besorgen‹, ›mitfühlen‹, ›bezeugen‹, ›erfahren‹, ›annehmen‹, ›loslassen‹, ›einstehen‹, ›vertrauen‹ etc. Um ein anderes Beispiel zu nehmen: Kein Tier versteht die Bedeutungsfülle von ›Fug‹ und ›Fügen‹ in seinen Schattierungen und Abwandlungen, kein Tier hat eine Ahnung davon, was mit ›verfügen‹, ›einfügen‹, ›anfügen‹, ›zufügen‹, die ›Fuge‹, die ›Befugnis‹, ›Fug‹ und ›Unfug‹ gemeint ist.

Seiendes denken und das Sein denken:
Seiendes nehmen wir als Gegenstände wahr, Seiendes steht uns gegenüber, wir haben immer eine gewisse Distanz zu ihm, wir sehen es gewissermaßen sinnlich oder mit unserem geistigen Auge als Vorstellung - wir nehmen es dissoziiert, von außen wahr. Sein als ein Geschehen hingegen nehmen wir durch Eintauchen in selbiges wahr, wir fühlen es, wir spüren ihm nach - wir nehmen es assoziiert, im Involviertsein in den jeweiligen Prozess wahr. Auch wenn wir die unterschiedlichen Seinsweisen des Sehens wie ›sehen‹, ›betrachten‹, ›beobachten‹, ›schauen‹, ›gucken‹, ›blicken‹, ›mustern‹ etc. verstehen wollen, müssen wir uns in diese hineinbegeben. Um zu verstehen, was der Unterschied zwischen ›sehen‹ und ›schauen‹ ist, müssen wir in den Prozess des Sehens und Schauens eintreten und dem Sehen und dem Schauen nachspüren. Es geht dabei nicht darum, einen expliziten Begriff des Phänomens des Schauens und des Sehens zu erlangen. Nur den Wenigsten gelingt dies. Es geht vielmehr darum, einen ungefähres Verständnis davon zu entwickeln, eines, das naturgegeben fehlerhaft ist. Dieses ungefähre Verständnis des jeweiligen Seins erlangen alle denkenden Menschen. Nur so ist Sprechen und Sprache möglich.
Es gibt vielerlei Seiendes, aber es gibt nur ein Sein. Aber das Sein als das große Ganze hat viele unterscheidbare Facetten. Seiendes begegnet uns im bildhaft-anschaulichen Denken, Sein erfahren wir im bildlosen An-denken.

Das Sein als Geschehen und das Seyn als Ereignis:
Für das Verständnis von „Sein und Zeit“ genügt es, das Sein als Geschehen bzw. als Prozess aufzufassen. Später wird Heidegger in seinem seynsgeschichtlichen Denken das Wesen (die Wesung) des Seyns als Ereignis fassen.