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Die Horizonte der Zeitlichkeit: Zugelassenheit - Präsenz - Zurückgelassenheit

Wie können wir Sein verstehen? Wie ist es möglich, dass wir etwas als einen Prozess, der einen Anfang, einen Verlauf und ein Ende hat, verstehen können? Die Grundlage dafür bildet unsere Wesenseigenart, zeitlich zu denken und unsere Welt zeitlich zu strukturieren.
Wir verstehen etwas als Prozess nur im Horizont der Zeit. Nur weil die Zeit in Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit gegliedert ist und jede dieser 3 „Zeiten“ ihren eigenen Horizont hat, können wir Prozesse verstehen.
Leider hat Heidegger in der Vorlesung lediglich den Horizont der Gegenwart beschrieben: Präsenz (Anwesenheit & Abwesenheit). Dies führte zu vielen Missdeutungen des Begriffs der Zeitlichkeit. Deshalb wird in diesem Kommentar versucht, in analoger Weise zum Horizont der Gegenwart, der Präsenz, die Horizonte der Zukunft und der Vergangenheit darzulegen. Etwas ist ja nicht nur da oder nicht da (Anwesenheit – Abwesenheit), es kommt ja von irgendwo her und geht irgendwohin. Woher kommt es auf uns zu? Und wohin vergeht es wieder?
Wenn wir in die Gegenwart schauen (und zugleich Zukunft und Vergangenheit vollständig ausblenden), erblicken wir den Horizont der Präsenz, der An- und Abwesenheit. In ihm sehen wir all das, was da (und nicht da) ist.
Wenn wir in die Zukunft schauen (und zugleich Gegenwart und Vergangenheit vollständig ausblenden), erblicken wir einen anderen Horizont; ich nenne ihn die Zugelassenheit. Im Horizont der Zugelassenheit erscheint all das, was zugelassen wird. Nur indem es zugelassen wird, kann es Möglichkeit und Wirklichkeit werden (siehe auch Anmerkung 1).
Wenn wir in die Vergangenheit schauen (und zugleich Zukunft und Gegenwart vollständig ausblenden), sehen wir den Horizont der Vergangenheit; ich nenne ihn die Zurückgelassenheit. Dorthin ist das vormals Präsente eingegangen. Nur indem es zurückgelassen wird, kann etwas vergehen. Nur was ich in irgendeiner Weise zurückgelassen habe, kann ich (im Gedächtnis) behalten bzw. vergessen (aus dem Gedächtnis verlieren), aber ich kann es auch wieder-holen.
Etwas ist nur dann als Prozess denkbar, wenn ich es in der Einheit seines Werdens, Zugegenseins und Vergehens begreife. Aus dem Bereich der Zugelassenheit kommt es in den Bereich der Präsenz und vergeht in den Bereich der Zurückgelassenheit. (siehe auch Anmerkung 2)
Es gibt nur diese eine Richtung des prozesshaften Ablaufes, die Richtung ist niemals umkehrbar. Denn wenn - wie es in manchen Sciencefiction Produktionen dargestellt wird - die „Zeit sich gewissermaßen umkehrt“, sodass sie rückwärts verläuft, der Mensch als Greis beginnt und zuletzt zum Kind wird, verläuft sie dennoch wieder gleich: jetzt liegt im Bereich der Zugelassenheit eben die Kindheit und im Bereich der Zurückgelassenheit das Greisenalter.
Egal wie weit ich den Bereich der Präsenz ausdehne, sei es der bloße, kurze Moment einer Millionstel Sekunde, sei es die lange Dauer von Jahrmillionen, stets kommt das, was ich gerade sehe, von irgendwo her (Zugelassenheit) in meinen Blick und ver-geht wieder irgendwohin (Zurückgelassenheit).
Wenn ich mir vorstelle, wie etwas „in der Zukunft“ sein wird, es also ver-gegenwärtige, kommt dieses nur in meiner Vorstellung Präsente aus seinem eigenen - veränderbaren und sich ständig verändernden - Bereich der Zugelassenheit und vergeht in seinen eigenen Bereich der Zurückgelassenheit. So hat auch das „in der Zukunft“ Stattfindende seine eigene Zukunft und Vergangenheit.
Ebenso geschieht das mit der Erinnerung an Vergangenes: Wenn ich mir etwas Vergangenes ver-gegenwärtige, hat dieses in meiner Erinnerung bzw. Vorstellung (z.B.: wenn ich etwas über längst vergangene Zeitalter lese) Präsente wiederum seine eigene - veränderbare und sich ständig verändernde - Zukunft und Vergangenheit………………

Sehen Sie, wie sich aus dem Begriff des Prozesses allmählich das Phänomen des Ereignisses herauskristallisiert? ……………

Anmerkung 1: Auch das Phänomen des Überraschtseins ist nur auf der Grundlage der Zugelassenheit möglich. Wenn ich von einem völlig unerwarteten Ereignis überrascht werde, heißt dies, dass ich es im Horizont seiner Zugelassenheit übersehen hatte. Erst in dem Moment, in dem das Überraschende gleichsam in meine Aufmerksamkeit einbricht, tritt es aus dem Dunkel des Nicht-zugelassenen in das Licht seiner Zugelassenheit.

Anmerkung 2: Tatsächlich blicken wir aber ständig auf den gesamten Zeithorizont, welcher einheitlich und nicht teilbar ist. (Die Zeit ist in Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit gegliedert, aber niemals sind diese drei in voneinander unabhängige Einzelbestandteile trennbar.) Auch dürfen wir uns Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit nicht als nacheinander ablaufend vorstellen. Sie sind von unterschiedlicher Qualität mit jeweils völlig unterschiedlichen Horizonten und finden ständig und ausschließlich zugleich statt.

 

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